20200309_081441
  • Gepostet am 10. März 2020

Crazy Rich Asians

Über die Liebe zum Lesen und ein besonderes Buch –
ein Beitrag von Lena Kricsfalussy

 

Es gibt Bücher, die mich nachts wach halten. Sie lullen mich ein, flüstern mir zu, dass das nächste Kapitel nur wenige Seiten entfernt ist. Was sind schon zehn Seiten, fragen sie mich. Sie ignorieren meine juckenden Augen, mein wiederholtes Gähnen, meine Blicke zur Uhr.
Andere Bücher erlangen diesen Ruhm niemals bei mir. Ich lese sie, oft gerne, aber nie länger als zwanzig Minuten am Abend. Der Schlaf ist mir wichtiger.

Als ich klein war, haben meine Eltern mich – unbeabsichtigt, wie ich glaube – davon überzeugt, dass es akzeptabel ist, wegen eines Buches lange aufzubleiben. Wenn ich abends an der Spielkonsole hing oder am Handy, das war nicht okay. Aber wenn die Nachttischlampe mir die Buchseiten beleuchtete, drückten die Eltern beide Augen zu – und mir einen Gute-Nacht-Kuss auf die Stirn. Vermutlich bin ich deswegen zu solch einer Leseratte herangewachsen, und jetzt, als erwachsene junge Frau, liegt immer mindestens ein Buch auf meinen Nachttisch.

Ja, Bücher rauben mir den Schlaf. Dazu müssen sie keine Thriller sein. Manchmal bin ich bloß begierig, welche raffinierten Satzgerüste auf der nächsten Seite warten und ob der schüchterne Held endlich das hübsche Mädchen in der Kaffeebar anspricht. Wird der Mörder beim nächsten Opfer den entscheidenden Fehler begehen?

Es gibt Bücher, die einen wahrhaftigen Bann auf mich legen. Ihre Seiten ziehen meinen Blick an, und meine Augen bleiben an den Buchstaben kleben, bis ich das ganze Buch verschlungen habe. Solche Lieblinge nehme ich mit ins Bett, ja. Ich nehme sie mit zum Frühstück, und ziehe den morgendlichen Tee absichtlich in die Länge, nur um mit den Charakteren über Promenaden zu schlendern, innere Dämonen zu bekämpfen oder ihr Leid mitzuempfinden. Ich gestehe – solche Bücher wandern mit auf die Toilette, ich halte sie beim Zähneputzen in der linken Hand vor mein Gesicht. Ich trage sie mit zur Arbeit und lese in den Pausen. Unter der Dusche halte ich sie so weit weg vom Wasserstrahl, dass sie nur von wenigen Tropfen getroffen werden, aber doch nah genug, dass ich die Wörter entziffern kann.

Solche Bücher sind der Alptraum eines Bücherwurms. Sie rauben einem jegliche soziale Interaktion, lieber ist man mit dem Roman alleine, als sich mit Freunden zu treffen. Sie benebeln meine Sinne derart, dass ich nur daran denke, wo das Buch ist – in meinem Rucksack, auf dem Küchentisch, neben meinem Kopfkissen? Und wann schlage ich es das nächste Mal wieder auf? Solche Bücher lassen mich vergessen, dass ich nur zwei Minuten Wartezeit habe, bis der Bus kommt. Zwei Minuten – das sind fast zwei Seiten, die ich lesen kann! Und solche Bücher hinterlassen immer eine Lücke, nachdem man sie verschlungen hat, wie ein köstliches Essen, von dem man mehr will, nur wegen des herrlichen Geschmacks, aber der Teller ist leer.

Es geschieht nicht oft, dass mir solche Bücher begegnen, und ich habe das ungute Gefühl, dass es immer seltener geschieht, je älter ich werde. Doch vor ein paar Tagen, dem Bücherhimmel sei Dank, ist mir eins über den Weg gelaufen.

Meine Mutter ist genauso eine Leseratte wie ich. Was macht eine Leseratten-Mutter, die ihren Leseratten-Schützling eine Weile nicht sieht? Genau, sie schickt ihm ein Buch. Laut meiner Mutter war das Buch im Moment in aller Munde und eines der beliebtesten Bücher weltweit. Und worüber handelt es? Stinkreiche Asiaten. Das klang für mich eher langweilig. Von Finanzmärkten und Superreichen hatte ich definitiv keine Ahnung – und daran wollte ich auch nichts ändern.

Doch dann neigte sich der Krimi auf meinem Nachttisch langsam, aber stetig, dem Ende zu. Und es juckte mich schon, herauszufinden, was an diesem Buch so besonders sein sollte. Knapp 600 Seiten dick, oh je, da wußte ich direkt: Wenn es mir nicht hundertprozentig gefällt, werde ich ewig dafür brauchen, es zu lesen (dann fällt es unter die Rubrik zwanzig-Seiten-pro-Abend-Buch, siehe oben). Erst einmal das Vorwort, dachte ich, und schlug die erste Seite auf.
Am nächsten Tag bereits war es um mich geschehen. Ich habe dieses Buch nicht mehr weggelegt. Meine Arbeitskollegin taxierte mich mit schrägen Blicken, denn „Crazy Rich Asians“ hatte seinen Platz neben meinem Laptop auf dem Schreibtisch eingenommen. Meine Pasta wurden regelmäßig kalt, zu sehr war ich mit Umblättern beschäftigt. Zu beschäftigt, um die Gabel zum Mund zu führen. Und das ist nicht einmal übertrieben.

Das Buch „Crazy Rich Asians“ und seine Hauptcharaktere haben es mir angetan. Die Geschichte ist alt, es ist keine neue Idee, die der Autor Kevin Kwan niedergeschrieben hat. Ein Mädchen aus normalen Verhältnissen, die absolut liebenswerte Rachel Chu, wird der reichen und glamourösen Welt der Familie ihres Freundes, Nicholas Young (von den Youngs) vorgestellt. Es entwickelt sich ein hochkarätiges Familiendrama mit sämtlichen Facetten der klassischen Aschenputtel-Geschichte. Nur, dass Kevin Kwan es geschickt in einen realistischen, einen realen Rahmen gepackt hat. Die asiatischen Superreichen, diese Elite aus Singapur, Hongkong und Shanghai, es gibt sie wirklich. Und Probleme wie solche, die Nicholas und Rachel in den Weg gelegt werden, sind echte Themen für Personen aus diesen Kreisen.

„Crazy Rich Asians“ hat mich begeistert, ich wurde eingesogen in die schillernde Welt der Singapurer Elite, süchtig nach dem Umblättern wie die Protagonistinnen süchtig nach Haute couture. Das Buch macht Freude, teils musste ich an mich halten, um nicht laut loszulachen, gleichzeitig schafft es der Autor, dass die Geschichte niemals plump wirkt. Trotz vieler bekannter Elemente ist das Geschehen nicht vorhersehbar, und da immer wieder aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird, ist die Handlung wesentlich komplexer, als man zunächst meint. Diese Perspektivenwechsel sind ein weiterer Grund für den ultimativen Suchtfaktor des Romans.

Ich gestehe: Ich bin begeistert von Nicholas‘ und Rachels Geschichte, sie hat mich gepackt. Und was rettet einen verzweifelten Bücherwurm, der am Ende eines Buches steht? Bereit, in das Loch zu fallen, das zurückbleibt, wenn man sich von seinem Lebensinhalt der letzten Tage trennt? Richtig, die Tatsache, dass es einen zweiten Band gibt.

Buchinformation

Kevin Kwan, „Crazy Rich Asiens“
Kein & Aber Verlag
Aus dem Englischen von Jenny Merling, Anna-Christin Kramer
ISBN: 978-3-0369-5797-5

https://keinundaber.ch/de/literary-work/crazy-rich-asians/

Blogbeitrag teilen:

2 Kommentare zu „Crazy Rich Asians“

  1. Inzwischen gibt es den dritten Band (Rich People Problems), in dem es um das Leben der Großmutter geht. Gespickt mit Rückblicken und Erinnerungen der Großmutter auch ein Blick in asiatische Geschichte. Auch für Alle, die englische Bücher suchen ein Lesegenuss.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ihr Kommentar erscheint nach der Prüfung durch unseren Administrator.

Weitere Beiträge:

© textfan.de

Nach oben scrollen