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  • Gepostet am 26. Februar 2020

Nach Mattias

„Nach Mattias“ ist der dritte Roman des niederländischen Autors Peter Zantingh und sein erstes Buch, das auch auf Deutsch erscheint. Ich hatte die Gelegenheit, es vorab zu lesen. Ab heute ist das Buch im Handel erhältlich.

Worum geht es in Peter Zantinghs Roman?

Es geht um Mattias, wie der Titel des Buches schon sagt, doch irgendwie geht es auch nicht um ihn. Mattias ist tot. Unerwartet verschwindet er aus dem Leben von Menschen, von denen die einen viel und die anderen wenig mit ihm zu tun hatten. Gemeinsam ist ihnen, dass sich ihr Leben durch Mattias‘ Tod verändert. Der Leser taucht ein in die Geschichten dieser Menschen und erfährt nach und nach, wer Mattias war und was zu seinem Tod führte.

Da ist Amber, Mattias Freundin und Lebensgefährtin. Mattias ist fort, für immer. Und am letzten Tag hatten sie sich gestritten.

„Mattias konnte einfach gehen, auch in Momenten, da man noch so viel zu ihm sagen wollte, aber dafür noch ein bisschen Zeit brauchte. Das tat er jetzt auch, er ging, aus dem Zimmer und zur Türe hinaus und auf die Straße, und danach sah ich ihn nicht mehr wieder, denn er wollte direkt von der Arbeit aus hinfahren.“

Amber und Mattias waren Kinder der Neunziger Jahre. Ihnen ging es gut.

„Unsere Eltern waren zusammengeblieben und wohnten in Häusern, die wie selbstverständlich von Jahr zu Jahr mehr wert wurden. Zu uns sagten sie: Du kannst werden was du willst, Hauptsache, du wirst glücklich. Mattias schien sich vor allem das Versprechen aus der ersten Hälfte gemerkt zu haben, ich den zwingenden Unterton vom Darauffolgenden.“

Mattias der Visionär und Lebenskünstler, Amber die junge Frau mit Versagensängsten, die nie etwas Unüberlegtes tut? Der Gedanke, die Frage drängt sich auf.

Mattias Freund Quentin läuft. Läuft gegen die Trauer an. Mit dem Laufen hat er in Afghanistan begonnen. Dort war er, der Studienabbrecher, stationiert, um junge Afghanen zu Polizisten auszubilden.

„In den ersten sechs Wochen konnten wir gar nichts machen. Ohne Scheiß. Null. Die Fahrzeuge waren noch nicht da. Die Splitterwesten waren zu klein. Wir hatten keine Dolmetscher.“

Während die anderen Soldaten Filme anguckten, ging Quentin laufen. Nach sieben Monaten in Afghanistan wird er turnusmäßig abgelöst und nimmt seinen Abschied vom Militär. Danach jobbt Quentin, joggt und trifft sich mit seinem Freund Mattias. Es entsteht die Idee, ein kleines Musik-Café aufzumachen.

„Nach Mattias lief ich 11,2 Kilometer. […] Nur das Laufen half in den ersten Wochen.“

Quentin läuft und läuft. Als ihn seine Mutter in einer Mail fragt, ob er nicht gemeinsam mit einem Blinden joggen will, lehnt Quentin ab. Er läuft alleine weiter, bis ihn seine schmerzenden Füße zwingen, eine Pause einzulegen.

„Ich machte kehrt, und mir graute vor den sechshundert Metern zurück zu meiner Haustür, mit der Couch dahinter und den Sendungen, die tagsüber im Fernsehen liefen. Meine Tage zerbröselten vor meinen Augen.“

Und dann macht Quentin es doch: Er trifft sich mit dem blinden Chris und geht mit ihm joggen.

Und so erzählt Peter Zantingh weiter. Erzählt von Mattias Großeltern, die ihre Goldhochzeit feiern und seiner Oma, die ihre Beziehung nach sechzig Jahren in Frage stellt. Nach Mattias können die beiden Alten nicht schlafen. Sie schauen Netflix, die Enkelkinder haben es ihnen geschenkt. Die Filme und Serien bringen sie durch die Nacht.

Und da ist Kristianne, Mattias Mutter. Um nicht zu verzweifeln und aus dem Haus zu kommen, beginnt sie, sich in der Flüchtlingsarbeit zu engagieren.

„Ich warten, sagt sie. Niemand kommen.
Du hast keine Nummer gezogen. Schau her. Das ist deine Nummer.
Kristianne läuft zum Schalter, und Fabriba kommt sofort dran. Fünf Minuten später ist sie fertig.
Danke schön, Kristianne, sagt sie. Ich bin stolz, dass du mein Freund bist.“

Diese und andere Begegnungen lindern Kristiannes Schmerz, sie spürt das Leben weitergehen.

„Am nächsten Morgen frühstückt sie wieder. Sie geht in den Garten hinaus und sieht, dass ihre Pflänzchen gewachsen sind. Und dass die Schnecken nach wie vor Löcher in ihren Brokkoli fressen.“

Vier weitere Personen, ihre Geschichten, ihre Verflechtungen und ihre Beziehungen zu Mattias entwickelt Zantingh. Wie hinter einem transparenten Vorhang entsteht das Bild von Mattias. Fast wie nebenbei tauchen in den einzelnen Kapiteln Begebenheiten auf, die über Mattias erzählen, in denen er in Kontakt zu den Figuren tritt. Nie steht er im Vordergrund und ist doch die Hauptperson in Zantinghs Roman. Durch diese Erzählweise Zantinghs wird der Verlust eindringlich spürbar. Ganz zum Schluss weiß der Leser, wer Mattias war und was ihn ausmachte.

Peter Zantinghs Sprache ist lebhaft, beschreibt genau, ohne ausschweifend zu werden. Er nimmt den Leser mit, mitten hinein in das Leben der interessant und abwechslungsreich gewählten Figuren, die wie Puzzleteile ineinandergreifen.

Zantinghs Protagonisten berühren. Der Autor erzählt nicht, dass sie trauern, er zeigt die Trauer, macht sie spürbar und kreiert dabei Sätze, die mich bewegt und gefesselt haben.

„Selbst, wenn es keinen Himmel gibt, gibt es keinen besseren Weg, wieder nah beieinander zu sein, als sich im selben Winkel des Todes zu verstecken.“

Dies ist nur ein Beispiel aus einem ganzen Schatz kraftvoller Sätze, die Zantingh aufs Papier gebracht hat und über die ich mich beim Lesen des Buches still gefreut habe.

Obwohl Trauer und Verlust die zentralen Themen des Buches sind, strahlt der Text etwas Positives und Kraftspendendes aus. Letztendlich erzählt Zantingh vom Mut, den es braucht, nach Einschlägen weiterzumachen, neu zu starten, positiv zu bleiben. Ein tröstender Text. Das Leben geht weiter und es kommen wieder bessere Zeiten. Genauso hätte es wahrscheinlich Mattias beschrieben.

Woran Mattias gestorben ist, erfährt der Leser erst spät, dadurch bleibt der Roman bis zum Ende spannend und ich werde es hier natürlich nicht verraten.

Verraten möchte ich aber, – sicher ahnt man es schon – dass mir dieser Roman sehr gefallen hat. Ich war zutiefst berührt, hoffnungsvoll, hin und wieder ein wenig amüsiert und bis zum Schluss gespannt. Dazu diese wunderbare Sprache – was braucht ein guter Roman mehr?

 

Über den Autor

Peter Zantingh, geboren 1983 in Herhugowaard, Provinz Nordholland, studierte Wirtschaft und Digitale Kommunikation und arbeitet heute als stellvertretender Chefredakteur bei der Wochenendausgabe der NRC. Sein Roman „Een uur en achttien minuten“ war für diverse Literaturpreise nominiert. Peter Zantingh lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Utrecht.

 

Kurz und knapp:

Wer war dieser Mattias und warum ist er gestorben? Das sind die zwei Fragen, die sich der Leser bis zum Schluss des Romans „Nach Mattias“ von Peter Zantingh stellt. Unerwartet verschwindet Mattias aus dem Leben von Menschen, die ihm mehr oder weniger nahestanden. Gemeinsam ist ihnen, dass sich ihr Leben durch den Tod Mattias verändert. Zantingh nimmt den Leser mit, mitten hinein in die Geschichten der spannend und abwechslungsreich gewählten Figuren, die wie Puzzleteile ineinandergreifen. Nach und nach erfährt er, wer Mattias eigentlich war und was zu seinem Tod führte.

Ein Buch über Trauer und Verlust, und den Mut, auch in kritischen Lebensphasen Hoffnung zu schöpfen. Mir hat dieser Roman sehr gefallen. Ich war zutiefst berührt, hoffnungsvoll, hin und wieder ein wenig amüsiert und bis zum Schluss gespannt. Ganz sicher mein Lesetipp für den kommenden Literaturfrühling!

 

Buchinformation

Peter Zantingh, „Nach Mattias“

https://www.diogenes.ch/leser/titel/peter-zantingh/nach-mattias-9783257071290.html

DiogenesVerlag, Zürich 2020

ISBN 978-3-257-86380-2

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