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  • Gepostet am 19. Januar 2021

Januarbücher 2021

Bücher, die mir beim Lesen ans Herz wachsen, finden ihren Platz auf meinem Blog. In den letzten zwei Wochen habe ich gleich drei Bücher in die Finger bekommen, über die ich dringend berichten möchte. Hier kommen meine Januarbücher 2021:

Elke Heidenreich: „Die schönen Jahre – vom Glück und Unglück der Liebe“

Anfangen werde ich mit der Erzählung „Die schönsten Jahre“ von Elke Heidenreich.
Thema der Erzählung ist die schwierige Beziehung einer Tochter zu ihrer Mutter. Die erfolgreiche Mittvierzigerin Nina und ihre rüstige 80-jährige Mutter kommen nicht miteinander klar. Die Tochter stattet der Mutter der Pflicht und dem schlechten Gewissen geschuldete Besuche ab. Herzlichkeit sieht anders aus.

„Ich dachte darüber nach, wie viel Witz und Kraft in meiner Mutter steckten, und fragte mich, warum wir beide es nicht fertigbrachten, locker und fröhlich miteinander umzugehen. Ich hatte immer das Gefühl, sie mochte mich nicht, und dass ließ mich ihr gegenüber störrisch, kühl verhärtet sein.“

Als die Mutter Nina unerwartet auf eine Reise nach Mailand begleitet, klärt sich einiges. Die Mutter erzählt zum ersten Mal über ihre Beziehung zu Ninas Vater, die Nazizeit und warum sie Nina geschlagen hatte. Alles kommt nicht ans Tageslicht, davon erfährt Nina erst zwei Jahre später, nach dem Tod der Mutter.

Auf nur 59 Seiten beschreibt Elke Heidenreich sensibel und treffend die Beziehung der beiden Frauen. Eine Geschichte, die berührt, weil sie realistisch ist und mit dem Bild bedingungsloser mütterlicher Liebe aufräumt. Manchmal funkt einfach das Leben dazwischen.

Hier mein erster Tipp für einen grauen Wintertag:

Elke Heidenreich, „Die schönsten Jahre“, erschienen im Rowohlt Taschenbuch Verlag

ISBN 978 3 499 247880

 

Paul Maar: „Wie alles kam – Roman meiner Kindheit“

Wer kennt nicht das Sams, den Herrn Taschenbier und die Frau Rotkohl? Erfinder dieser Figuren ist Paul Maar. Jetzt hat der bekannte Kinderbuchautor ein Buch über seine Kindheit geschrieben.

Mein Mann hat mir dieses Buch geschenkt und erst wusste ich nicht so recht etwas damit anzufangen. Andere Titel hatten es auf meine Buch-Wunschliste geschafft. Erst einmal den Klappentext studieren, dachte ich. Darin konnte ich lesen, dass Paul Maars Erinnerungen zugleich Abenteuer- und Freundschaftsgeschichte, ein Vater-Sohn-Roman und eine Liebeserklärung an seine Frau Nele sind. Das machte mich neugierig und ich habe „Wie alles kam“ aufgeschlagen und wieder zugeschlagen. Dazwischen ein bisschen Schlaf, ein paar Mahlzeiten und ein großes Lesevergnügen.

Es geht um den kleinen Paul, dessen Mutter kurz nach seiner Geburt stirbt und der das Glück hat, dass eine liebevolle Stiefmutter in sein Leben tritt. Mit seiner „neuen“ Mutter übersteht das Kind die letzten Jahre des 2. Weltkrieges in Schweinfurt und später auf dem Land bei den Großeltern in Obertheres. Sein Vater Edmund muss in den Krieg und gerät in Kriegsgefangenschaft. Als er nach Jahren zurückkehrt, ist alles anders: Der Sohn ist nicht mehr der entzückende kleine Lockenkopf. Der Krieg hat den Vater verändert.

Das Kind begegnet dem fremd gewordenen Vater ablehnend und verschlossen. Mit dem Tag der Rückkehr des Vaters verändert sich Pauls Leben. Paul Maar schildert die kleinen wie die großen Dinge, die geschehen. Da ist zum Beispiel die Szene, als er die Hälfte des Ehebettes wieder freigeben muss, die der Vater nun beansprucht. Das Kind erlebt den Vater als Eindringling. Der wiederum quittiert Pauls Ablehnung mit brutaler Härte und unverständlicher Strenge. Auch die Mutter ändert sich und unterwirft sich mehr und mehr der Dominanz des Vaters.

Doch Paul ist nicht allein. Da sind seine Großeltern und sein Freund Lud, mit dem er gemeinsam durch die Gegend strolcht. Wenn Paul und Lud in einem alten Kahn den Main hinunterschippern, wird der Leser unwillkürlich an Tom Sawyer und Huckleberry Finn erinnert. Und Paul liest alles, was ihm unter die Finger kommt. Die Bibel, Indianerheftchen und den Sprach-Brockhaus. Als Paul in die Schule kommt, kann er lesen – eine durchaus verstörende Situation für den Lehrer.

Paul flüchtet auf seine inneren Inseln. Sie sind es, die ihn hinüberretten in das Erwachsensein. Er zeichnet herausragend gut und erfährt dadurch Anerkennung in der Schule. Als Paul seinen Wehrdienst absolviert, stirbt unerwartet sein schriftstellerisch begabter Freund Franz. Für Paul ist dies der Impuls selber mit dem Schreiben zu beginnen.

Paul Maars „Wie alles kam“ ist das Buch für all diejenigen, die sich für wahre Lebensgeschichten begeistern. Sie sind der Beweis dafür, dass nicht immer alles gut oder schlecht ist.

Mein zweiter Tipp für nasskalte Sonntage:

Paul Maar, „Wie alles kam“, erschienen im S. Fischer Verlag

ISBN 978 3 10 397038 8

 

Charles Lewinsky: „Der Halbbart“

Nach dem „Stotterer“ bin ich nun in den Lesegenuss von Lewinskys Roman „Der Halbbart“ gekommen. Das Buch habe ich als Leseexemplar vom Diogenes Verlag erhalten – besten Dank dafür!

Der junge Eusebius, den alle Sebi nennen, ist nicht gemacht für die Feldarbeit oder das Soldatenleben. Lieber hört und erfindet er Geschichten. Im Jahr 1313 hat so einer es nicht leicht in einem einfachen Bergdorf.

Sebi ist 12 Jahre alt, ein bisschen naiv und gutgläubig. Nicht viel anders als die meisten Bewohner seines kleinen Heimatdorfes in der Schwyz.

Als ein Unbekannter ins Dorf kommt, entstehen rasch Gerüchte um seine Herkunft. Noch wichtiger als die Frage nach seinem Auftauchen ist für die Dörfler das Rätsel seiner beängstigenden Erscheinung. Mit dem Halbbart kommt ein janusköpfiger Fremder ins Dorf. Lewinskys Romanfigur, die sich auch selbst nur „Halbbart“ nennt, hat ein gespaltenes Gesicht.

Man nennt ihn so, weil ihm der Bart nur auf der einen Seite des Gesichtes wächst, auf der anderen hat er Brandnarben und schwarze Krusten, […]“

Vom Halbbart erfährt der Junge, was die Menschen im Guten wie im Bösen auszeichnet und wie man in schwierigen Zeiten das Beste aus sich macht. Der Halbbart vermag es, mit Bedacht in die Zukunft zu blicken. Zugleich ist er seelisch tief verwundet und schaut nicht ohne Rachsucht auf seine Vergangenheit. Es dauert lange, bis er seinen neuen Freunden gegenüber das Trauma seiner Verletzung offenbart.

Der Ich-Erzähler Sebi hat zwei gegensätzliche Brüder: Während der ältere der beiden, Geni, ein verhandlungsgeschickter Berater der Obrigkeit ist, gibt sich der jüngere Bruder Poli gern als ungestümer Anführer, der auf Gewalt setzt und immer wieder für Unfrieden sorgt. Dann ist da noch Sebis Onkel Alisi, ein ehemaliger Soldat, der mit seinen Kumpanen im Dorf herumrandaliert und dort die Herrschaft an sich zu reißen versucht. Für Poli wird der Onkel zum Vorbild.

Charles Lewinsky macht Sebi zum Beobachter der geschichtlichen Ereignisse. Der Autor erzählt vom Gründungsmythos der Schweiz, vor allem vom sogenannten „Marchenstreit“ zwischen der Schwyz und dem nahegelegenen Kloster Einsiedeln, das in den Einflussbereich der Habsburger gehörte. Es ging um Landrechte, die die Mönche, so zumindest behaupten es die Dörfler, mit Urkunden zu beglaubigen versuchten, die sie selbst gefertigt hatten. Es kommt zu einem Überfall und zur Plünderung des berühmten Klosters Einsiedeln. Lewinsky schildert reale historische Ereignisse und zeigt dabei, wie falsche Geschichten den Geschichtsprozess beeinflussen.

Der Roman gipfelt in der Schlacht am Morgarten. Lewinsky lässt Sebi, seine Brüder und auch den Halbbart in die kämpferischen Auseinandersetzungen geraten. Die Schwyzer gewinnen – nicht nur im Buch – diese erste Schlacht gegen die Habsburger.

Sebi, der nach seinem Weg im Leben sucht und weder Mönch, Bauer noch Totengräber sein möchte, beschließt, Geschichtenerzähler zu werden. Er geht beim Teufels-Anneli in die Lehre, das zieht von Dorf zu Dorf und bekommt für ihre spannenden Geschichten, die immer vom Teufel handeln, etwas zu essen. Von ihr lernt Sebi, was es zu einer fesselnden Geschichte braucht und wie man sie beeindruckend erzählt. Der Sebi hat seinen Platz im Leben gefunden.

678 Seiten stark ist dieser farbenprächtige, urwüchsige, bisweilen schalkhafte Roman. Ein lesenswertes Lehrstück über das Erzählen und die Geschichtsschreibung. Eines der Bücher, in das der Leser eintaucht und sich auf der letzten Seite hoffnungsvoll fragt, ob es eine Fortsetzung gibt. Das glaube ich nicht und deshalb hänge ich meinen Gedanken nach und spinne Sebis Geschichte einfach weiter …

Mein dritter Tipp, wenn es im Bett am schönsten ist:

Charles Lewinsky, „Der Halbbart“, Diogenes Verlag, Zürich.

ISBN 978 3 257 07136 8

 

 

 

 

 

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