Kostbare Tage
Diese Buchbesprechung muss ich mit einer Liebeserklärung beginnen! Ja, ich liebe die Bücher von Kent Haruf. „Lied der Weite“, „Abendrot“ und „Unsere Seelen bei Nacht“ – was war das für ein Lesegenuss. Kent Haruf ist im Jahr 2014 gestorben und dass sein Roman „Kostbare Tage“ jetzt auf Deutsch erschienen ist, ist ein wahrer Glücksfall für mich.
Dad Lewis, der Besitzer einer Eisenwarenhandlung in Holt, einer Kleinstadt bei Denver, weiß, dass er bald stirbt. Er ist 77 Jahre alt und unheilbar an Krebs erkrankt. Die Tage seines letzten Sommers liegen heiß und drückend auf dem Land. Kent Harufs „Kostbare Tage“ ist die Geschichte einer Frist. Einer Frist, in der einiges aus Dad Lewis Leben aufgearbeitet wird, anderes nicht.
In leisen Tönen erzählt Kent Haruf vom Abschiednehmen.
Liebevoll pflegen Dads Frau Mary und seine Tochter Lorraine den Todkranken. Es gibt kein Aufbegehren, keine Hoffnung mehr. Dad weiß, dass ihm wenig Zeit bleibt. Mary und Lorraine wissen das auch und sie tun alles, um ihm diese kostbaren Tage so schmerzfrei und angenehm wie möglich zu gestalten. Was er regeln kann, regelt er. Dad, der erfolgreiche Eisenwarenhändler, bestellt sein Erbe.
Wer fehlt, ist Frank, der schwule Sohn. Frank hat die Familie vor Jahren verlassen, zu einer wirklichen Aussprache zwischen Vater und Sohn ist es nie gekommen. Wie ein Schatten liegt dieser Bruch über der Handlung. Dad Lewis steht kurz vor seinem Tod und Erinnerungen drängen sich in sein Bewusstsein. Gekonnt rollt Haruf Ereignisse aus Dads Leben in Rückblenden auf.
Kent Haruf war ein Geschichtenschreiber.
Kent Haruf wäre nicht Kent Haruf, wenn zu den Erinnerungen nicht neue Gesichter und mit ihnen weitere Geschichten hinzukämen: Da ist z.B. die kleine Alice, die im Nachbarhaus bei ihrer Großmutter einzieht oder Lyle, der Reverend, der von Anfang an mit den eigenwilligen Bewohnern Holts zu kämpfen hat.
„Kostbare Tage“ ist ein Buch der leisen Töne, in dem sich Kent Haruf in schlichten Sätzen einem schwierigen Thema annimmt – dem Abschiednehmen. Und so nimmt der Leser von der ersten Seite an Abschied von Dad und der verabschiedet sich auch: von seinem Laden, seinen Nachbarn, den Angestellten, seiner Frau Mary, seiner Tochter Lorraine. Und von seinem Sohn Frank.
„Er würde also sterben. Das war es, was sie gesagt hatten. Noch ehe der Sommer vorbei war, wäre er tot. Anfang September würde man draußen auf dem Friedhof, drei Meilen östlich von der Stadt, Erde über ihn schütten, auf das, was von ihm übrig war. Man würde seinen Namen auf einen Grabstaien meißeln, und dann wäre es so, als hätte es ihn nie gegeben.“
Sanft wird der Leser in die Geschichte gezogen, die menschlich nah und feinfühlig geschrieben ist, ohne jemals schwülstig oder rührselig zu sein. Ein unaufgeregtes Buch über das Leben und das Sterben.
Alle Romane von Kent Haruf sind unbedingt lesenswert.
Eine Freundin fragte mich, welcher der Romane von Kent Haruf mir am besten gefallen hat. Schwere Frage. Jedes ist auf seine Weise besonders und alle haben ein verbindendes Element: Sie erzählen zutiefst menschliche Geschichten, die nah an der Realität bleiben. Dadurch sind die Bücher von Kent Haruf glaubwürdig und die Handlungen nie konstruiert.
Kent Haruf hatte ein Herz für jeden Nichtsnutz, für jeden Tor und einen aufmerksamen Blick für die kleinen Besonderheiten, die uns alle ausmachen. Da bin ich mir sicher.
Bye, bye, lieber Kent Haruf! Holt und seine Geschichten werden mir fehlen.
Kurz und knapp:
Dad Lewis, der Besitzer einer Eisenwarenhandlung in einer Kleinstadt bei Denver, weiß, dass er bald stirbt. Er ist 77 Jahre alt und unheilbar an Krebs erkrankt. Der Leser nimmt von der ersten Seite an Abschied von Dad und der verabschiedet sich auch: von seinem Laden, seinen Nachbarn, den Angestellten, seiner Frau Mary, seiner Tochter Lorraine.
„Kostbare Tage“ ist ein unaufgeregtes Buch über das Leben und das Sterben. Wie alle Romane von Kent Haruf unbedingt lesenswert.
Buchinformation
Kent Haruf „Kostbare Tage“
Verlag Diogenes
ISBN 978-3-257-07125 2
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