Karin Kricsfalussy Tschudi 200606 (2)
  • Gepostet am 6. Juni 2020

Tschudi

Hugo von Tschudi, der von 1896 bis 1909 die Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel leitete, hat entscheidend zur Durchsetzung der künstlerischen Moderne in Deutschland beigetragen. Er war es, der Ende des 19. Jahrhunderts die französischen Impressionisten nach Berlin brachte. Revolutionär zur damaligen Zeit.

Der Roman „Tschudi“ von Mariam Kühsel-Hussaini erzählt, wie der Kunsthistoriker Hugo von Tschudi in der preußischen Hauptstadt gegen das konservative Establishment kämpft. Tschudi unternimmt alle Anstrengungen, um die französische Moderne nach Berlin zu holen: Manet, Monet, Renoir, Cezanne. Sein Engagement trifft nicht nur auf Gegenliebe. Kaiser Wilhelm II beäugt das Tun Tschudis kritisch und konterkariert es immer wieder. Hugo hat es mit einer intrigenreichen, deutschtümelden Gesellschaft zu tun.

Kühsel-Hussaini lenkt den Blick auf die Protagonisten der damaligen Szene, zum Beispiel Max Liebermann, den eine enge Freundschaft mit Tschudi verbindet. Tschudi wird als raumgreifende Persönlichkeit beschrieben, die mit ihrer Präsenz die Salons der Stadt füllt. Der Direktor der Nationalgalerie versteht es wie kein anderer, Mäzene für sich zu gewinnen.

Doch Tschudi ist auch eine tragische Figur. Verzweifelt kämpft er gegen die tückische und unheilbare Wolfskrankheit, die sich immer weiter in sein Gesicht frisst. Eindringlich schildert Kühsel-Hussaini die Verzweiflung des charismatischen Mannes. Chronische Entzündungen schwächen seinen Körper, er wird der Krankheit erliegen. Kühsel-Husseini erzählt berührend von der Pein des schwerkranken und gezeichneten Mannes.

„Ich“, begann er (Tschudi), „ich trage die … Apokalypse im Gesicht, wie Sie ja sehen können. Ich will Sie bitten, mir eine … eine Maske anzufertigen. Manchmal sind die Menschen so nah, dann fühle ich nur noch kalte Augen überall, dann verliere ich den Boden unter meinen Füßen  und das … das kann ich mir nicht leisten, ich habe so viel zu tun in der kommenden Zeit  und ich brauche  den Rückzug um nicht … wahnsinnig zu werden.“

Der Autorin glücken einprägsame Porträts, von dem mit echt Berliner Schnauze ausgestatteten Max Liebermann etwa oder dem Eigenbrötler Adolph Menzel. Nicht zuletzt der tumb-konservative Wilhelm II, der mit Pickelhaube und Schnurrbart für eine untergehende Epoche steht.

Zurückgeworfen in das beginnende 20. Jahrhundert erahnt der Leser etwas vom damaligen Zeitgeist, der geradewegs in den Ersten Weltkrieg führt: übersteigerter Patriotismus gepaart mit Argwohn und Ressentiments.

Was mir nicht gefallen hat, sind so einige verunglückte Formulierungen, die m.E. nicht hätten sein müssen. Da werden Augen zu „ekstatischen Murmeln“ oder Wilhelm ist „von Sehnsucht durchströmt, wie der Golf von Neapel von gebräunten männlichen Schimmern“. Puh, das war mir dann doch hin und wieder etwas zu heftig.

Doch was halte ich mich an diesen Kleinigkeiten auf? „Tschudi“ ist ein Buch, dass ich Kunst- und Geschichtsinteressierten empfehle, ein gut gelungener Roman über den Kampf der Moderne. So steht es auf dem Buchcover und ich finde, das stimmt.

Über die Autorin

Mariam Kühsel-Hussaini ist 1987 in Kabul geboren und in Deutschland aufgewachsen.2010 erschien ihr vielbeachtetes Debüt „Gott im Reiskorn“, es folgten die Romane „Abfahrt“ (2011) und „Attentat auf Adam“ (2012). Mariam Kühsel-Hussaini lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Berlin.

Buchinformation

Mariam Kühsel-Hussaini „Tschudi“
Rowohlt Verlag, Hamburg,
ISBN 978-3-498-00137-7

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