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  • Gepostet am 12. Juni 2019

Zweimal im Leben

„Die Korrekturen“ von Jonathan Franzen, ein Mängelexemplar für 5,95 €, die Seiten schon etwas angeschmutzt – ich habe es sofort gekauft. Es fehlt in meinem Bücherregal, denn mein Originalexemplar habe ich verliehen und nie wiederbekommen. Somit war mein Besuch auf dem Bücherbummel in Düsseldorf erfolgreich.

Leider weiß ich wirklich nicht mehr, an wen ich die „Korrekturen“ verliehen habe. Ziemlich blöd, ich konnte sie nie zurückfordern. Wahrscheinlich an einen Menschen, der mein Leben kurz kreuzte und dann wieder daraus verschwand. Schade, dass er oder sie dabei mein Buch mitgenommen hat. Man sagt ja, dass man sich im Leben immer zweimal begegnet, in diesem Fall war es offensichtlich nicht so. Sei`s drum, jetzt kann ich meinen Frieden damit machen: Das Buch ist ja irgendwie wieder da. Sollte der Beliehene, also derjenige Mitmensch, dessen Regal MEIN Buch ziert, dies lesen, dann rufe ich ihm oder ihr zu: „Du kannst es behalten, es gehört Dir, ich schenke es Dir. Hoffentlich hast Du es auch gelesen.“

Ist ja schon ein bisschen her, seit ich den Roman gelesen habe. Zehn Jahre bestimmt, wenn nicht sogar länger. Er hat mir gefallen. Das muss so sein, ansonsten wäre mein Gejammer um die leere Stelle im Bücherregal kaum nachvollziehbar.

Warum geht es eigentlich?

Zugebenermaßen ist meine Erinnerung etwas dünn. Das Lesen des Klappentextes hilft mir ein wenig auf die Sprünge. Zumindest weiß ich jetzt wieder, worum es geht:

Um ein Weihnachtsfest. Nach dem Willen von Mutter Enid soll die Familie ein letztes gemeinsames Weihnachten verbringen: die Mutter und der Vater Alfred, die drei längst erwachsenen Kinder Chip, Denise und Gary, mit Anhang und Enkeln. Bereits im Frühjahr beginnt Enid damit, ihr Ziel mit unermüdlichem Einsatz und Intriganz anzusteuern.

Mir schwant, dass ihr Plan nicht gut ausgeht. Ein desaströses Weihnachtsfest gehört schließlich zum literarischen Standard einer Familiengeschichte – warum sollte es dem Leser bei Jonathan Franzen anders ergehen als bei Henrik Ibsen, Thomas Mann oder Heinrich Böll?

Jetzt frage ich mich ernsthaft: Bin ich einer banalen Familiengeschichte, womöglich mit kitschigem Happy End, auf den honigsüßen Leim gegangen? Das hätte ich doch gemerkt – oder etwa nicht? Machen sich da Zweifel an meiner literarischen Erinnerungskraft breit? Ich glaube, das entscheide ich, wenn ich mir den Schinken, immerhin knapp 800 Seiten, noch einmal vorgenommen habe.

Und wer weiß? Vielleicht stimmt es doch, das mit den zwei Begegnungen im Leben. Dann steht der Mensch, dem ich das Buch einst geliehen habe, plötzlich vor der Tür und sagt: „Hier, Dein Buch, mit bestem Dank zurück. Ich würde gerne mal mit Dir darüber reden.“ Hoffentlich habe ich „Die Korrekturen“ bis dahin ein zweites Mal gelesen …

 

Für alle, die mitlesen möchten:

Jonathan Franzen, „Die Korrekturen“
Rowohlt Taschenbuch Verlag
ISBN 978-3-499-23523-8

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